Sonntag, 26. November 2017

Śrī-Śrī Rāga Vartma Candrikā, 1_4

TEXT 4:

bhaktau pravṛttir atra syāt taccikīrṣa suniścayā
śāstrāl lobhāt tac cikīrṣu syātāṁ tad adhikāriṇau

“Beschäftigung in der Bhakti nach Maßgabe der Schriften bedeutet, dass man den ausschließlichen Wunsch hat, hingebungsvolle Praxis auszuführen. Die beiden Arten von Kandidaten fūr Bhakti (vaidhi und rāgānugā) beginnen aufgrund von zwei verschiedenen Gründen: Angst vor den schriftlichen Anweisungen (der vidhi bhakta) und intensive Begierde (der rāgānugā bhakta).”

Kṛpā-kaṇikā Vyākhyā:

Auf dem bhakti sādhana mārga gibt es keine Beachtung von Qualifikation oder Unterscheidung zwischen verschiedenen Stufen der Praktizierenden, so wie es auf den Pfaden des jñāna, karma und anderen sādhana mārgas der Fall ist. Bhakti ist ein  sādhana Pfad, der von allen beschritten werden kann. Bhakti nützt allen, ob mit gutem Betragen oder schlechtem Betragen, gelehrt oder unwissend, angehaftet oder losgelöst. Da bhakti ein Pfad fūr jeden ist, gibt es keine Beschränkungen fūr irgendjemanden ihn zu gehen. Der einzige Fakt, der verursacht, mit der Praxis von bhakti zu beginnen, ist einfach der starke Wunsch, an den verschiedenen Praktiken (kīrtana, japa, Meditation oder Festlichkeiten) teilzuhaben. Dieser Wunsch kann durch zwei Gründe aufkommen. Einer ist Angst vor den Anweisungen der Schriften, die beschreiben, dass alle Lebewesen den Herrn verehren sollten. So beginnt man  bhakti aus Angst, denn sonst gibt es bestimmte Schwierigkeiten. Der andere entsteht, wenn man aus den Schriften von der großartigen Liebe der ewigen Gefährten des Herrn hört, und aus heiliger Begierde heraus beginnt man sich bhajana zu wünschen. Das sind die zwei Kandidaten fūr bhakti. Śrīmat Rūpa Gosvāmī hat Definitionen fūr beide gegeben. Die Definition fūr den Kandidaten des vaidhi mārgas ist wie folgt:

yaḥ kenāpyati bhāgyena jāta śraddho'sya sevane
nātisakto na vairāgya bhāgasyām adhikāryasau
(Bhakti Rasāmṛta Sindhu 1.2.14)

“Wenn jemand durch die Gemeinschaft mit Heiligen und durch unfassbares Glück Glauben und Zuneigung zum Dienst fūr Kṛṣṇa (bhakti mārga) entwickelt hat, aber noch keine feste Anhaftung zum Herrn, aber doch etwas Loslösung von körperlichen Anhaftungen hat, dann ist solch eine Person geeignet sādhana bhakti auszuführen.“

Der Kandidat fūr rāgānugā wird wie folgt beschrieben:

rāgātmikaika niṣṭhā ye vrajavāsi janādayaḥ
teṣāṁ bhāvāptaye lubdho bhaved atrādhikāravān
(Bhakti Rasāmṛta Sindhu 1.2.291)

“Jemand, der einfach begierig nach unverfälschter, ekstatischer rāgātmikā bhakti-Liebe zu Kṛṣṇa - in der Art der Vrajavāsīs - ist, ist ein geeigneter Kandidat fūr rāgānugā bhakti.”


Der Unterschied zwischen den Kandidaten fūr vaidhi und rāgānugā bhakti ist der, dass die Befähigung zu vaidhi bhakti durch 'śraddhā' (faith) verursacht wird und die von rāgānugā bhakti durch 'lobha' (heilige Begierde). Der Kandidat fūr vaidhi bhakti schreitet schrittweise in seinem sādhana voran, indem er Glauben in die Aussagen der Schriften behält. So entwickelt sich ruci, als Resultat einer ehrfurchtsvollen Haltung dem Herrn gegenüber, die mit śraddhā kombiniert ist. Aber ruci bleibt ein zweitrangiger Faktor und sein bhajana basiert hauptsächlich auf śraddhā. Und die Kandidaten fūr rāgānugā bhakti entwickeln Begierde nach dem Vorbild der süßen Gefühle der nitya siddha Vrajavāsīs. Ihr ruci sādhana entwickelt sich langsam und trifft auf tiefen Glauben (śraddhā); aber hier bleibt śraddhā der zweitrangige Faktor und ruci der erstrangige. Er führt einen bhajana aus, der die Form von śraddhā hat, in dem ruci erstrangig ist. Dies ist definitiv unterschiedlich von der Art des śraddhā, die vaidhi bhakti hervorruft, und ist auch viel kraftvoller, weil die Vertiefung, die rāgānugā bhakti im Bewusstsein verursacht, niemals absichtlich stattfindet, da ruci eine innewohnende Funktion des Herzens ist. Das ist der Unterschied zwischen Befähigung fūr vaidhi und rāgānugā bhakti. Dennoch gibt es keinen Unterschied in der Ausführung von Hingabe oder bhajana selbst. Mit anderen Worten, alle Bestandteile, die als Bestandteile fūr vaidhi bhakti genannt werden, wie Hören und Chanten, werden ebenso in rāgānugā bhakti (der Autor wird dies später noch beschreiben) praktiziert. (4)

Samstag, 25. November 2017

Sri-Sri Siksastakam, Vers 1

Vers 1
ceto darpana marjanam bhava maha davagni nirvapanam
sreyah kairava candrika vitaranam vidya vadhu jivanam
anandambudhi vardhanam pratipadam purnamritasvadanam
sarvatma snapanam param vijayate sri krishna sankirtanam


„Alle Ehre gebührt dem gemeinsamen Singen der heiligen Namen Krischnas, welches (1) den Spiegel des Herzens und der Gedanken reinigt, welches (2) den Waldbrand der materiellen Existenz zum Ersticken bringt, das (3) den weißen Lotus frohen Glücks mit Mondlicht segnet, welches (4) das Lebenselixier der Braut namens „transzendentales Wissen“ verkörpert, das (5) den Ozean, der aus transzendentalem Glück besteht, anschwellen lässt, das (6) es uns ermöglicht, vollständigen Nektar auf Schritt und Tritt zu kosten und das (7) somit unser ganzes Selbst in diesem reinen Nektar badet.“



Kommentar von Radhakunda Mahanta Sri Srimat Ananta das Babaji:

Einer der Gründe Sri Krischna Caitanya Mahaprabhus, dem Läuterer des Zeitalters des Kali, in dieser materiellen Welt zu erscheinen, besteht darin, die Menschen zu segnen, indem Er sie die transzendentale Liebe der Einwohner von Vraja für Krischna kosten lässt.
Das Werk Caitanya Caritamrita übermittelt:

nija gudha karya tomara prema asvadana
anushange premamaya koile tribhuvana

„Der geheime Grund für Dein Erscheinen besteht darin, Liebe zu Gott zu kosten. Dass dabei alle drei Welten mit dieser Liebe überflutet wurden, ist nur ein Nebeneffekt.“
Diese beiden Aufgaben verkörperten die Last, die auf Mahaprabhus Schultern während Seines gesamten sichtbaren Auftretens lag. Als der Herr dabei war, den Sankirtana in ganz Nadiya zu verbreiten, befahl er Seinen Beigesellten – „ Schenkt überall allen Menschen Liebe zu Gott!“
Nachdem Er in den Lebensstand der Entsagung trat, begann der Herr nach Südindien und nach Vraja zu reisen, während Er dabei reine Liebe zu Gott, Prema, in ganz Indien verschenkte.
Sogar den Löwen, Tigern, Sträuchern, Bäumen und anderen Lebewesen des Waldes von Jharikhanda wurde dieses Geschenk zuteil. In den letzten achtzehn Jahren Seiner sichtbaren Spiele lebte Er in Jagannatha Puri und vertiefte sich zunehmend in den inneren Beweggrund Seines Erscheinens: Die Liebe von Srimati Radhika zu kosten.
Es gab dort für Ihn keine Möglichkeit Bücher zu schreiben um diese Art der Liebe zu Gott, der Prema, zu predigen, doch unterwies Er persönlich Seine Schüler wie zum Beispiel Sri Rupa Goswami und Sri Sanatana Goswami in diesem Anliegen und ließ somit diese Arbeit durch Seine Beigesellten bewerkstelligen.
Er Selbst war völlig versunken in transzendentale Gefühlswogen zusammen mit Sri Svarupa Damodara und Ramananda Raya in Puri und hinterließ der Nachwelt nur acht Verse mit den vertraulichsten und wichtigsten Lehren. Die Lehren von Sriman Mahaprabhu stellen die Essenz aller vedischen Lehren dar. Alles nur erdenklich Glückverheißende und Erstrebenswerte, was zu Frieden und Zufriedenheit führen könnte, hängte Er den Menschen dieser Welt wie eine Kette mit acht Juwelen um den Hals. Srila Kaviraja Goswami fügte diese acht Verse, das Sri Sri Siksastakam, dem letzten Kapitel seines Werkes Sri Caitanya Caritamrita hinzu.
Im ersten Vers sagt der Herr: „Das gemeinsame Singen der heiligen Namen Krischnas, der Sri Krischna–nama-sankirtana, welcher den Spiegel des Herzens reinigt, welcher den großen Waldbrand der materiellen Existenz ersticken lässt, welcher wie das Mondlicht die Lotusblume der glückverheißenden Aussicht blühen lässt, welcher das wahre Leben der Braut des transzendentalen Wissens darstellt, welcher den Ozean der transzendentalen Freude ansteigen lässt, welcher uns auf Schritt und Tritt den vollständigen Nektar kosten lässt und welcher unser Selbst darin badet (und somit die Sinne, den Verstand, die Intelligenz bis hin zur reinen spirituellen Seele zufriedenstellt), dieser Nama-sankirtana ist das höchste Gut.“ Prema, oder reine Liebe zu Gott, wird in jedem erblühen, der an diesem Sankirtana, welcher von  Sriman Mahaprabhu in dieser Welt gepredigt wurde, ohne Vergehen zu begehen, chantend teilnimmt.
Srimad Sanatana Goswami schrieb in seinem Werk Brihad Bhagavatamrita (2.3.164-165):

nana-sankirtanam proktam krishnasya prema sampadi
balishtham sadhanam sreshtham paramakarsha mantravad
tad eva manyate bhakteh phalam tad rasikair janaih
bhagavat prema sampattau sadaivavyabhicaratah

„Die vertraulichste und mächtigste Methode, den Schatz der Liebe zu Krischna zu plündern, besteht im Singen der heiligen Namen, Nama-sankirtana. Nama-sankirtana ist höchst anziehend, genau wie ein Mantra. Deshalb betrachten es die rasikas (die Kenner des spirituellen Wohlgeschmacks) auch als die Frucht der liebenden Hingabe!“
In seinem eigenen Kommentar zu diesem Vers schreibt Sanatana Goswami:

na nu sarvesham api sadhana bhaktiprakaranam premaiva phalam ityabhipretam satyam nama sankirtane sati premnah avasyambhavitvat upacarena tad eva phalam manyate iti

„Jemand möge einwenden: `Die Frucht aller Sadhana-bhakti ist Prema, und das Chanten des heiligen Namens ist nur ein Mittel zum Zweck des Erlangens von Prema. Wie kann man nun also das Chanten an sich schon als die Frucht der liebenden Hingabe bezeichnen?´ Und hier ist die Antwort darauf: `Weil das Auftreten der Prema unvermeidlich ist durch die Praxis des Chantens, deshalb wurde das Chanten ebenso als Frucht der liebenden Hingabe bezeichnet!´“
Sriman Mahaprabhu eröffnet deshalb Sein Siksastakam mit den Worten „param vijayate sri krshna sankirtanam“ – „Dem Chanten der Namen  Sri Krischnas möge alle Ehre zuteilwerden! In diesem Chanten gipfeln alle spirituelle Pfade und Ziele.“
Sriman Mahaprabhu lehrte Sanatana Goswami:

bhajanera madhye sreshtha nava vidha bhakti
krishna prema krishna dite dhare maha sakti
tara madhye sarva sreshtha - nama-sankirtana
niraparadhe nama hoite hoy prema dhana
(Caitanya Caritamrita, Madhya-lila)

„Unter all jenen Arten der Verehrung, sind die neun Vorgänge der liebenden Hingabe, wie sie im  Srimad Bhagavatam (7.5.23) erwähnt werden, die besten. In ihnen wohnt die Macht, den Praktizierenden Krischna Selbst und Liebe zu Krischna zu schenken. Von all diesen neun Vorgängen wird der Nama-sankirtana als bester dargestellt. Wenn man ohne Vergehen chantet, wird einem der Reichtum der reinen Liebe zu Krischna zuteil.“ Hierbei geht es nicht um Zeit und Ort, auch nicht um Eignung oder Untauglichkeit.
Während Er Seine Lehren des  Siksastakam beginnt, sagt der Herr:

harshe prabhu kohe – suno svarupa rama raya, nama-sankirtana kalau parama upaya

„Der Herr verkündete glückselig: Hört zu, Svarupa und Rama Raya! Im Zeitalter des Kali besteht die beste Art der Befreiung darin, Nama-sankirtana auszuführen!“
Es ist zugleich der beste Pfad und das höchste Ziel!

Śrī-Śrī Rāga Vartma Candrikā, 1_3

TEXT 3:

vaidhī bhaktir bhavet śāstraṁ bhaktau cet syāt pravartakam
rāgānugā syac ced bhaktau lobha eva pravartakaḥ

“Wenn Bhakti durch die Anweisungen der Schriften ausgelöst wird, nennt man sie vaidhi bhakti, wenn sie durch spirituelle Begierde (lobha) ausgelöst wird, dann nennt man sie rāgānugā bhakti.”


Kṛpā-kaṇikā Vyākhyā:

Wir haben erklärt, dass es zwei Arten der sādhana bhakti gibt - 'vaidhi' und 'rāgānugā'. Hier gibt der Autor die Eigenschaften dieser zwei Arten der Bhakti bekannt. Wenn Bhakti durch Anweisungen aus den Schriften entsteht, dann handelt es sich um vaidhi bhakti. Das heißt, dass die offenbarten Schriften beschreiben, wie diejenigen, die sich gegen eine Verehrung Śrī Haris wenden, leiden werden, indem sie weiterhin durch viele bemitleidenswerte Arten des Lebens wandern als auch durch die Hölle reisen müssen.

Der vaidhi bhakti bhajana beginnt mit der Angst vor diesen Leiden. Im Śrī Bhakti Rasāmṛta Sindhu wird eine Definition von vaidhi bhakti gegeben -

yatra rāgānavāptatvāt pravṛttir upajāyate
śāsanenaiva śāstrasya sā vaidhī bhaktir ucyate  (1.2.6)

“Die Bhakti, die weder Anhaftung noch Begierde kennt und durch die Anweisungen der Schriften ausgelöst wird, heißt vaidhi bhakti.”

In seinem Kommentar zu diesem Vers hat Viśvanātha Cakravartīpāda geschrieben
- rāgo'tra śrī mūrter darśanād daśama skandhīya tat tal līlā śravaṇāc ca bhajana lobhaḥ.

“Das Wort rāga kann benutzt werden, wenn die Verehrung durch heilige Begierde ausgelöst wird, nachdem man die schöne Bildgestaltenform des Herrn gesehen hat oder nachdem man von Seinen Spielen aus dem zehnten Canto des Śrīmad Bhāgavata gehört hat.”

Wenn Verehrung nicht durch solche Begierde ausgelöst wird, sondern durch die Anweisungen der Schriften, nennt man sie vaidhi bhakti. I

m Śrīmad Bhāgavata (11.5.2-3) gibt es eine klare, schriftliche Warnung an alle, die gegen die Verehrung Gottes sind in den Worten des Herrn:

mukha bāhūru pādebhyaḥ puruṣasyāśramaiḥ saha
catvāro jajñire varṇā guṇair viprādayaḥ pṛthak
ya eṣāṁ puruṣaṁ sākṣād ātma-prabhāvam īśvaram
na bhajantyavajānanti sthānād bhraṣṭāḥ patantyadhaḥ

“Aus dem Gesicht, den Armen, den Schenkeln und den Füllen des Puruṣa (die universale Form) wurden die vier sozialen Stände, wie brāhmaṇas, die guṇas, wie sattva und die vier Stufen des Lebens, wie Haushälterleben, nach und nach manifestiert. Jene innerhalb des varṇāśrama Systems, die ihren eigenen Ursprung, Śrī Hari, nicht verehren und Ihn daher missachten, werden von ihrer sozialen Position fallen.”

cāri varṇāśramī yadi kṛṣṇa nāhi bhaje;
sva-dharma koriyā-o raurave paḍi maje
(C.C.)

“Jene in den vier sozialen Ständen, die Kṛṣṇa nicht verehren, werden in die Hölle fallen, selbst wenn sie ihre beruflichen Pflichten erfüllen.”

Die Art der Verehrung oder bhajana mārga, der durch schriftliche Unterweisungen ausgelöst wird, heißt vaidhi mārga.

Und die Art der Verehrung, die ausgelöst wird durch Begierde, verursacht durch Hören von den Spielen Śrī Kṛṣṇas, heißt rāgānugā mārga. Śrīmat Rūpa Gosvāmīpāda hat folgende Definition von rāgānugā gegeben:
virājantīm abhivyaktaṁ vrajavāsi-janādiṣu
rāgātmikām anusṛtā yā sā rāgānugocyate
(Bhakti Rasāmṛta Sindhu 1.2.270)

“Die Bhakti, die deutlich in den ewigen Gefährten von Vraja gegenwärtig ist, heißt  rāgātmikā bhakti, und Bhakti, die dieser rāgātmikā bhakti folgt, heißt rāgānugā bhakti.”

rāgātmikā bhakti mukhyā vrajavāsi-jane
tāra anugatā bhakti rāgānugā nāme 
(C.C.)

“Die Einwohner von Vraja praktizieren rāgātmikā bhakti, und Bhakti, die dieser folgt, ist rāgānugā.”

In seinem Bhakti Sandarbha (310) schreibt Śrīmat Jīva Gosvāmīpāda:


atra viṣayiṇaḥ svābhāviko viṣaya saṁsargecchātiśayamayaḥ premā rāgaḥ yathā cakṣur ādīnāṁ saundaryādau; tādṛśa evātra bhaktasya śrī bhagavatyapi rāga ityucyate.

yasya pūrvokte rāga viśeṣe rucir eva jātāsti na tu rāga viśeṣa eva svayaṁ tasya tādṛśa rāga sudhākara karābhāsa samullasita hṛdaya sphaṭika maṇeḥ śāstrādi śrutāsu tādṛśyā rāgātmikāyā bhakteḥ paripāṭiṣvapi rucir jāyate. tatas tadīyaṁ rāgaṁ rucyānugacchantī sā rāgānugā tasyaiva pravartate.

“Die natürliche Liebe und der Wunsch eines Sinnengenießers nach seinem Lieblingsobjekt nennt sich rāga. So wie die Augen zu wunderschönen Szenen und andere Sinne zu ihren Lieblingsobjekten hingezogen sind und dazu keine Ermutigung benötigen, in ähnlicher Weise fühlt sich das Herz eines Geweihten natürlicherweise zum Herrn hingezogen. Dieser unruhige Durst nach Liebe wird rāga genannt.
Wenn nur der Anschein von Mondstrahlen dieses rāga (der sich in den Herzen der ewigen Gefährten von Kṛṣṇa befindet) auf das kristallgleiche Herz eines Geweihten, der nur ein wenig Geschmack am oben beschriebenen rāga hat, aber noch nicht den wirklichen rāga entwickelt hat, fällt, dann erfreut sich das ganze Herz. Wenn er dann von den Schriften lernt, entwickelt er Geschmack fūr den ausgezeichneten hingebungsvollen Dienst dieser rāgātmikā Geweihten.”

Die Zusammenfassung dessen ist, dass in den Geweihten, deren Herzen von Lust, Zorn, Gier und Neid frei sind und die aus den Schriften und aus dem Mund von Heiligen über den fachkundigen hingebungsvollen Dienst der rāgātmikā bhaktas hören, Geschmack erwachen wird. Mit solchem ruci (Geschmack) werden sie ihnen folgen und so wird ihre rāgānugā bhakti beginnen. So sollte es verstanden werden. (3)

Śrī-Śrī Rāga Vartma Candrikā, 1_2

TEXT 2:

śrīmad bhakti sudhāmbhodher bindur yaḥ pūrva darśitaḥ  
tatra rāgānugā bhaktiḥ sankṣiptātra vitanyate

”In meinem Buch 'Bhakti Rasāmṛta Sindhu Bindu' (ein Tropfen aus dem Ozean des hingebungsvollen Geschmacks) habe ich bereits eine kurze Beschreibung der rāgānugā bhakti (Hingabe, die der spirituellen Leidenschaft folgt) gegeben. Hier in diesem Rāga Vartma Candrikā beschreibe ich das Thema ausführlicher.”


Kṛpā-kaṇikā Vyākhyā:

Śrīla Viśvanātha Cakravartīpāda hat ein kleines Buch mit Namen Bhakti Rasāmṛta Sindhu Bindu verfasst. Es enthält die Essenz von Śrīmat Rūpa Gosvāmīpādas Bhakti Rasāmṛta Sindhu.

In diesem Buch hat er in Kürze die Eigenschaften und Arten der Hingabe, die 64 Glieder des bhajana, die 32 zu vermeidenden Vergehen gegen die Bildgestalten, die zehn Vergehen gegen den heiligen Namen, die Definition von vaidhi bhakti und rāgānugā bhakti, die neun Symptome von erwachender prīti, die Anzeichen von prema, rasa, vibhāva, anubhāva, die acht sāttvika Ekstasen, die 33 vyabhicārī-bhāvas, sthāyi bhāva, Erklärungen der rasas angefangen mit śānta, förderliche und hinderliche Eigenschaften für diese rasas, rasābhāsa und andere Dinge erklärt.

Die Gauḍīya Vaiṣṇavas praktizieren rāgānugā mārga bhajana.
Śrī Rūpa, Sanātana und die anderen Gauḍīya Vaiṣṇava Ācāryas sind die ācāryas der rāgānugā, nicht des vidhi mārga bhajana.
Rāga mārga bhajana ist ein ausgesprochen umfassendes Thema, daher haben es die Gosvāmīs wie Śrī-Śrī Rūpa-Sanātana ausführlich in ihren Büchern beschrieben. Deshalb konnte sich Śrīla Viśvanātha Cakravartīpāda nicht mit einer kurzen Beschreibung des rāga mārga im Bhakti Rasāmṛta Sindhu Bindu zufriedengeben und hat daher die Methode des rāgānugā mārga bhajana in diesem Buch, Rāga Vartma Candrikā, ausführlicher beschrieben, einfach um das Thema verständlicher für jeden zu machen.

Somit ist es die Pflicht aller rāga mārga sādhakas, dieses Buch aufmerksam zu studieren. (2)

Dienstag, 14. November 2017

Śrī Śrī Rāga Vartma Candrikā, 1_1

PRATHAMA PRAKĀŚA 

Erster Lichtstrahl

TEXT 1:

śrī rupa vāk sudhāsvādī cakorebhyo namo namaḥ
yeṣāṁ kṛpā lavair vakṣye rāga vartmani candrikām

”Wieder und wieder bringe ich meine demütigen Ehrerbietungen den Geweihten dar, die wie die Cakora-Vögel den Nektar der Worte Śrīla Rupa Gosvāmīs kosten. Nur durch einen Tropfen ihrer Gnade bin ich fähig geworden, dieses Buch ‚Rāga Vartma Candrikā‘ zu sprechen.”


Kṛpā-kaṇikā Vyākhyā:

Der höchst ehrenwerte Autor, Śrīla Viśvanātha Cakravartīpāda, hat dieses Buch rāga vartma candrikā genannt.
So wie ein Reisender seinen Weg mit Leichtigkeit finden kann, wenn Mondlicht seinen unbegehbaren Weg in der Nacht erleuchtet und ihn damit befähigt, freudvoll an seinem Ziel anzukommen ohne in Gruben gefallen oder von Dornen gestochen worden zu sein. In ähnlicher Weise werden auch die sādhakas (spirituelle Praktikanten), die den schwierigen Pfad der rāgānugā bhakti begehen, gut bekannt gemacht mit diesem Pfad, indem sie Zuflucht in diesem Buch suchen und so freudvoll ihr Ziel, die Lotosfüße Śrī-Śrī Rādhā-Mādhavas, erreichen ohne Hindernissen zu begegnen. Darüber besteht kein Zweifel. Es wird nicht mehr möglich sein, dass sie vom Pfad abfallen.

Es gibt zwei Arten von sādhana bhakti - vidhi bhakti und rāga bhakti. Vidhi bhakti hat ihre Wurzeln in den Anweisungen der heiligen Schriften und rāga bhakti in heiliger Begierde (lobha). Das ausschließliche Gebiet für diese rāga bhakti, geboren aus lobha, ist Śrī Vraja dhāma. Die höchste innere Versenkung in den meistgeliebten Śrī Kṛṣṇa oder die Versenkung in großes liebendes Dürsten nach Ihm wird rāga genannt. Und jene Hingabe, die mit solchem rāga angefüllt ist, wird rāgātmikā bhakti genannt. Diese bhakti ist in den ewig vollkommenen Gefährten des Herrn in Vraja zu finden. Wenn man von den richtigen Heiligen über die hervorragende Liebe Seiner ewigen Gefährten zu Śrī Kṛṣṇa hört, die fest in rāgātmikā bhakti verankert sind, und den Pfad der heiligen Begierde beschreitet, um ähnliche Gefühle zu erreichen, dann wird dies rāgānugā bhakti genannt. Sādhakas können den Fußspuren der ewig vollkommenen Bewohner von Vraja folgen; dieser Pfad heißt rāgānugā bhakti. Aber sie können niemals rāgātmikā bhakti praktizieren, da dies der innewohnende Reichtum der ewig vollkommenen Gefährten des Herrn ist.
Es gibt wiederum zwei Arten von rāgātmikā bhakti - sambandhātmikā bhakti und kāmātmikā bhakti. Vrajas dāsya, sakhya und vātsalya rasas sind sambandhātmikā bhakti und die süße Liebe der Mädchen von Vraja wird kāmātmikā bhakti genannt. Daher ist auch rāgānugā bhakti von zweierlei Art - sambandhānugā und kāmānugā. In diesem besonderen Zeitalter des Kali hat Śrīman Mahāprabhu die sādhakas, die Zuflucht bei Seinen Lotosfüßen gesucht haben, gesegnet, indem Er ihnen die Qualifikation gibt, Śrī Vṛṣabhānu-nandinī Śrī Rādhārāṇī, die sich auf dem Gipfel der kāmātmikā bhakti befindet, als eine Dienerin in Form des mit Begierde angetriebenen mañjarī bhāva sādhana, zu dienen. Dieses Rāga Vartma Candrikā erleuchtet diesen Pfad und nimmt jene Geweihten, die Zuflucht bei diesem höchsten Pfad der Verehrung gesucht haben, zu den Lotosfüßen von Śrī Śrī Rādhā-Mādhava – darüber besteht kein Zweifel.

Durch die Gnade von Śrīman Mahāprabhu hat Sein meist geliebter Gefährte Śrīmat Rupa Gosvāmīpāda diesen rāga bhajana, der Śrīman Mahāprabhu sehr lieb ist, etabliert. Er schrieb zwei Bücher, Śrī Bhakti Rasāmṛta Sindhu und Śrī Ujjvala Nīlamaṇi, um das schwierig zu verstehende Thema des rāga mārga den sādhakas der Welt zugānglich zu machen. So wie Śrīla Viśvanātha Cakravartīpāda das Buch Śrī Mādhurya Kādambinī auf Grundlage des Verses beginnend mit 'ādau śraddhā' aus dem Śrī Bhakti Rasāmṛta Sindhu schrieb, und somit die sādhakas, die nach prema streben, begünstigte, so hat auch Śrīmat Rupa Gosvāmīpāda eine Anzahl von ślokas aus dem Bhakti Rasāmṛta Sindhu über rāga mārga in seinem Buch analysiert, um den rāgānugīya sādhakas zu nützen.


Der Pfad des rāga mārga wird sehr selten erreicht und ist schwer zu verstehen. Es ist sehr schwierig, diesen Pfad ohne die Gnade der großen Heiligen, die fest verankert in ihrem bhajana (spirituelle Verehrung) sind, zu beschreiten. Daher hat Śrīla Granthakāra (der Autor) die Geweihten, die wie Cakora-Vögel begierig nach einem Nektartropfen der Barmherzigkeit von Śrīla Rupa Gosvāmīpāda sind, in diesem maṅgalācaraṇa śloka (glückverheißende Anrufung) gepriesen. In dieser Weise macht er sich von ihrer Gnade abhängig, während er dieses Buch beginnt. Die sādhakas sollten die Geheimnisse des Pfades des rāga bhajana verstehen lernen, wāhrend sie von der Gnade solcher großen Seelen abhängig sind. (1)

Śrī-Śrī Rāga Vartma Candrikā, 1_4

TEXT 4: bhaktau pravṛttir atra syāt taccikīrṣa suniścayā śāstrāl lobhāt tac cikīrṣu syātāṁ tad adhikāriṇau “Beschäftigung in der ...